Die heilige Katharina von Siena (1347 – 1380) und ihre Zeit

(7.Teil)

Katharinas Macht über Dämonen
Da die Macht des Fürbittgebets von Katharina so groß war, ist es nicht verwunderlich, dass man auch zu ihr kam, wenn Menschen von dämonischen Kräften geplagt wurden. Begeistert war Katharina darüber nicht. Es war ihr bewusst, dass eine Besessenheit einen besonderen Kampf erforderlich machte, dass hier der Mensch auch in eine persönliche Auseinandersetzung mit freien geistigen Wesen hineingezogen wird.
Entscheidend ist natürlich auch hier die Hilfe Gottes, ohne welche der Mensch nie etwas vermag und um welche er deswegen unausgesetzt sein ganzes Leben beten soll und darf. Doch Gott achtet auch oft sehr weitgehend die Freiheit Seiner Geschöpfe, welche sich dem Einfluss des Guten öffnen und vom Einfluss des Bösen befreien sollen.
Jesus sendet Seine Jünger zwar ausdrücklich aus, um Dämonen in Seinem Namen auszutreiben (vgl. Mt. 10,8), ja, Er sagt einmal, dass Er den Satan durch Sein Kommen wie einen „Blitz vom Himmel stürzen“ sah (Lk. 10,14). Und tatsächlich ist mit der Christianisierung der Einfluss des Dämonischen und Bösen in der Welt erheblich zurückgegangen. Jesus Christus weist die Menschen deshalb darauf hin, dass sie an Seiner Macht über die Dämonen erkennen können und sollen, dass mit Seinem Kommen das Reich Gottes zu ihnen gekommen ist (vgl. Lk. 11,20).
Dennoch ist die Befreiung von satanischem Einfluss oft ein längerer und aus menschlicher Sicht schwieriger Vorgang, bei dem Gott das Gebet scheinbar nicht immer sofort erhört. Gott will dem Menschen damit offenbar etwas klar machen. Den Aposteln und ihren Schwierigkeiten bei der Mission der Heilung stellt Jesus die Notwendigkeit des festen Glaubens vor Augen (vgl. Mt. 17,19f.).
Ein Mädchen in kindlichem Alter, das vom bösen Geist geplagt zu ihr gebracht worden war, erschien scheinbar geheilt, nachdem Katharina eine Nacht mit ihm im Gebet zugebracht hatte. Doch die Heilige schickte es nicht gleich nach Hause. „Lasst das Kind noch ein paar Tage bei uns, denn das ist besser für sein Heil“, sagte sie den dankbaren Eltern (vgl. Raimund von Capua, a.a.O., S. 336). Katharina leitete das Mädchen an, auch selbst immer wieder voll Andacht zu beten. Doch eines Abends fand sie das Mädchen wieder im Gesicht gerötet und von Raserei erfasst. Der böse Geist drohte sogar Katharina: „‘Wenn ich von hier weiche, werde ich in dich hineinfahren‘. Die Jungfrau antwortete ihm …: ‚Wenn der Herr – ohne dessen Erlaubnis du nichts vermagst, wie ich weiß – dies beschließen will, werde ich mich keineswegs dagegen wehren oder gegen seinen heiligen Willen aufbegehren oder mich ihm auf irgendeine Weise widersetzen‘“ (ebd., S. 338). „Du höllischer Drache … Ich vertraue dem Herrn Jesus Christus, meinem Erlöser und Bräutigam, dass du dieses Mal so verjagt werden wirst, dass du nie mehr zurückkehren kannst‘“(ebd., S. 337)! Dann nahm sie das Mädchen bei der Hand, führte es kurz in die Betkammer, brachte es dann völlig befreit heraus. Sie ließ es zu Bett bringen. Doch das Kind hatte zunächst noch ein Zucken und eine Schwellung am Hals. Katharina machte deshalb darüber ein Kreuzzeichen und heilte so auch noch dieses Leiden. Am nächsten Tag übergab sie das Mädchen ihren Eltern. Seither war das Kind frei von jeglichem dämonischen Einfluss.
„Noch viele andere Dämonenaustreibungen hat der Herr durch diese heilige Jungfrau, seine Braut, gewirkt“ (ebd., S. 342), bemerkt Raimund und berichtet noch ausführlich über die Austreibung bei einer Bediensteten auf einer Burg im Orcia-Tal: „Auf, Elender, mach dass du wegkommst! Verlass dieses Geschöpf des Herrn Jesus Christus und wage nie mehr, es weiter zu quälen und zu belästigen!“ (ebd., S. 341), habe Katharina dem bösen Feind entgegengerufen, worauf er wich und Katharina auch hier wieder letzte Zuckungen und Schwellungen am Hals durch ein Kreuzzeichen besiegte, so dass die Bedienstete sich mit demütigem Dank Katharina gegenüber wieder ihren Aufgaben zuwenden konnte.
Die Gabe der Prophetie
Raimund berichtet, dass Katharina nichts verborgen blieb, ja dass sie selbst in den Herzen ihrer Mitmenschen die geheimsten Gedanken lesen konnte. Ein Ritter, der durch seine Frau und durch das Gebet Katharinas sich nach langem Widerstreben endlich bewegen ließ, wieder einmal zu beichten, bekehrte sich von Herzen. Er kehrte zu Katharina dankbar zurück. Sie sagte zu ihm: „Ihr habt zum Heil Eurer Seele sehr gut gehandelt. Bemüht Euch aber, von nun an alle alten Taten zu vergessen, seid in Hinkunft ein Krieger des Herrn Jesus Christus, wie Ihr bisher ein Soldat dieser Welt gewesen seid“ (ebd., S. 346). Sie fragte ihn dann, ob er auch alles gebeichtet habe, und als er antwortete, er habe alles gesagt, woran er sich erinnern könne, bat sie ihn nochmals, genau nachzudenken. Bald danach ließ sie ihn wieder rufen und fragte ihn nochmals. Schließlich erinnerte sie ihn an eine Sünde, die er vergessen hatte und von der niemand etwas wissen konnte. Daraufhin beichtete er nochmals und verkündete dann allen: „Kommt und seht die Jungfrau: Sie hat mir meine Sünden gesagt, die ich in weit entfernten Gegenden begangen habe. Ist sie nicht eine Heilige und Prophetin?“ (ebd., S. 347). Er schloss sich Katharina an, ging aber noch im gleichen Jahr wohl vorbereitet zum Herrn ein, als eine Krankheit ihn überwältigte.
Eines Tages war ihr Beichtvater Fra Tommaso mit einem Gefährten unter Räuber gefallen, die ihnen alles weggenommen hatten und sie nun töten wollten. Da rief Fra Tommaso in seiner Not im Geist zu seinem Beichtkind: „O meine geliebte Tochter Caterina, du gottgeweihte Jungfrau, komm uns in dieser so schrecklichen Gefahr zu Hilfe“ (ebd., S. 349). Praktisch im gleichen Augenblick änderten da die Räuber plötzlich ihren Sinn, schenkten ihnen bis auf ein wenig Geld alles wieder zurück und ließen sie dann laufen.
Zurück in Siena, erzählte Fra Tommaso den merkwürdigen Vorfall (der an andere Heilige wie den heiligen Nikolaus von Myra erinnert, die auch schon zu Lebzeiten in Nöten halfen, selbst wenn sie nur aus der Ferne angerufen wurden). Da berichtete die Gefährtin, die damals gerade bei Katharina war, dass die Heilige zur selben Zeit, als Fra Tommaso so in Not zu ihr gerufen habe, sich plötzlich erhoben habe und zu ihrer Gebetsstelle geeilt sei mit den Worten: „Mein Vater ruft mich; ich weiß, dass er in großer Gefahr ist“ (ebd., S. 350). Raimund bemerkt: „Aus einer Entfernung von 24 Meilen wird sie angerufen, sogar ohne ein mit den Sinnen wahrnehmbares Wort, und sie spürt es sogleich und rettet die Hilfesuchenden aus der Gefahr! Siehst du auch, wie nützlich es ist, sich solchen Menschen anzuschließen, die, mit dem Licht der Engel begnadet, gewissermaßen in die Ferne blicken und unter dem Schutz der göttlichen Macht allen Übeln begegnen und den Bedrängten zu Hilfe eilen?“ (ebd.).
Im Jahre 1375 erhoben sich unter der Anführerschaft von Florenz (das seine Vormachtstellung gegenüber dem Papst gefährdet sah) und mit Unterstützung von Mailand „so gut wie alle Städte und Gebiete, die rechtlich ganz eindeutig der römischen Kirche unterstanden, gegen den damaligen Papst von Rom, Gregor XI.“ (ebd., S. 351), der damals noch in Avignon weilte, bis er sich am 13. September 1376 zur Rückkehr nach Rom aufmachte.
Raimund berichtet: „Als ich die Neuigkeit erfuhr, kam große Verbitterung über mich. Ich bedachte, dass es bei den Christen keine Gottesfurcht mehr gebe und keine Ehrerbietung gegenüber der heiligen Kirche und dass sie sich folglich nicht darum kümmerten, ob sie der Exkommunikation verfielen, und es ihnen ganz egal war, dass sie sich an fremdem Recht, ja sogar am Recht der Braut Christi vergriffen“ (ebd.). Er überbrachte die kummervolle Nachricht Katharina.
„Als sie aber sah, dass ich mich der Tränen nicht erwehren konnte, sagte sie …, um mein Weinen zu zügeln: ‚Beginnt nicht so schnell mit Euren Klagen … Was Ihr jetzt seht, ist wie Milch und Honig im Vergleich zu dem, was noch kommen wird.‘ … Ich fragte sie: ‚Können wir denn noch schlimmere Übel sehen, als dass die Christen … jede Ehrfurcht und Ergebenheit gegenüber der heiligen Kirche verloren haben …?‘ Sie erwiderte: ‚Vater, das, was jetzt geschieht, tun Laien. Bald aber werdet Ihr sehen, um wieviel schlimmer das sein wird, was die Geistlichen tun werden …, wenn der Papst sie ihrer verworfenen Sitten wegen zurechtweisen will. Dann werden sie nämlich in der ganzen heiligen Kirche Gottes für einen allgemeinen Skandal sorgen, der die Kirche wie eine verderbliche Häresie spalten und in Aufruhr versetzen wird.‘ Ganz betroffen … wandte ich ein: ‚Meine Mutter, werden wir dann eine Häresie und neue Häretiker bekommen?‘ Sie erwiderte: ‚Es wird nicht eine regelrechte Häresie sein, aber doch eine gewisse Ketzerei, eine Spaltung der Kirche und der ganzen Christenheit …‘. … Ich gestehe, dass ich sie damals nicht verstand … Es folgte Papst Urban VI. nach, und als ich sah, dass das jetzt noch bestehende Schisma seinen Anfang nahm, erkannte ich im Licht des Glaubens, wie sich alles verwirklichte, was Caterina vorausgesagt hatte“ (ebd., S. 362f.).
Katharina hatte damit praktisch das große abendländische Schisma vorhergesehen, welches dann unter Urban VI. 1378 ausbrach und bis 1417 die Kirche in große Not stürzte. Katharina soll als Folge dieses Schismas noch weitere Drangsale vorausgesagt haben, allerdings auch die Überwindung der Not: „Am Ende dieser Drangsale und Krisen wird Gott auf eine für die Menschen unfassbare Weise seine heilige Kirche reinigen und den Geist seiner Auserwählten wieder aufrichten … Wie ich Euch bei anderen Anlässen oft gesagt habe, wird dann die Braut Christi, die jetzt ganz entstellt und armselig ist, wunderschön erscheinen … Alle gläubigen Völker werden, angezogen durch den köstlichen Duft des Namens Jesus Christus, in die katholische Hürde zurückkehren und sich zum wahren Hirten und Bischof ihrer Seelen bekehren“ (ebd., S.355). Hat hier Katharina die nach den großen kirchlichen Schwierigkeiten teils überraschend erfolgreichen Unionsverhandlungen mit zahlreichen „Kirchen des Ostens“ im Zusammenhang mit dem Konzil von Ferrara-Florenz bereits vorhergesehen, wo es wenigstens für eine kurze Zeit gelang, die wichtigen Streitfragen zu lösen und die Einheit der Gesamtkirche in Ost und West wenigstens formell wieder zu finden (vgl. Unionsbulle „Laetentur coeli“ vom 6. Juli 1439, in der diese große Freude der wiedergefundenen Einheit verkündet wird)? Dies war damals ein durchaus erschütternder und bedeutsamer Vorgang, der zeigte, wie plötzlich überall das Interesse an der Überwindung von Spaltungen erwacht war und wie die Einheit mit der Hilfe Gottes auf wunderbare Weise wiederhergestellt werden konnte, auch wenn diese Einheit nicht allgemein von langer Dauer war, da sie von vielen Bischöfen im Osten nicht wirklich geschätzt, sondern eher hintertrieben wurde und weil eine wirkliche Verbindung zwischen Ost und West schließlich durch die muslimische Eroberung Konstantinopels 1453 auch praktisch wieder unmöglich worden war.
Raimund berichtet ehrlicherweise, dass Katharina bei Gregor XI. in Avignon auch eine „heilige Überfahrt“ angeregt habe, also eine Art Kreuzzug, um dadurch „Friede für die Christen, Buße für die Kriegsleute und Heil für viele Sarazenen“ (ebd., S. 357) zu erlangen, wozu es aber nicht gekommen sei. Raimund überlegt, ob es sich hier vielleicht wie bei manchen Ankündigungen Gottes verhalten habe, z.B. im alttestamentlichen Buch Jonas, wo Ninive die Zerstörung angedroht wurde, es aber durch Buße die Abwendung dieses Gerichts erlangte.
Es ging bei der angeregten „Überfahrt“ wohl aber kaum um eine prophetische Ankündigung von künftigen Ereignissen, sondern eher um einen (auch zeitbedingten) Vorschlag, Streitigkeiten unter Christen durch ein gemeinsames Ziel zu überwinden.
Katharina zeigte aber auch immer wieder ein Wissen von ganz persönlichen Dingen, die das übernatürliche Leben ihrer Mitmenschen betrafen. So lebte in Siena ein junger Adeliger, der schon früh seine Eltern verloren und sich immer mehr einer nicht sehr edlen, ja sogar lasterhaften Lebensweise zugeneigt hatte. Selbst als verheirateter Mann gab er seine üblen Gewohnheiten nicht auf.
Einer seiner Gefährten konnte ihn jedoch einmal dazu bringen, die Mahnungen der Jungfrau anzuhören. Von da an kam er immer wieder und ließ sich durch die Heiligkeit Katharinas erbauen, vergaß aber auch immer schnell wieder seine guten Vorsätze. Katharina verglich ihn mit einem flatterhaften Vogel, und sagte zu ihm: „Einmal werde ich dir mit Gottes Hilfe ein solches Band um deinen Nacken legen, dass du nicht mehr wegfliegen kannst“ (ebd., S. 362). Und wirklich, nach Katharinas Tod und nachdem auch seine Frau und einige andere Personen aus seiner Umgebung gestorben waren, fand er endlich die Kraft zu einer dauerhaften Bekehrung. Er wollte nun in einen Ritterorden eintreten, doch Katharina erschien ihm und wies ihm den Weg nach Monteoliveto. Dort trat er dann auch ein, um als Olivetaner Buße für sein vergangenes Leben zu tun, wurde 1411 Abt in einem anderen Kloster und verfasste schließlich 1416 noch ein Zeugnis für das heiligmäßige Leben Katharinas. So hat die Heilige den Wankelmütigen gebunden und die Vorhersage zur Erfüllung gebracht (vgl. ebd., S. 361f.).
Der Prior des Kartäuserklosters auf der Insel Gorgona, „die etwa dreißig Meilen vom Hafen von Pisa entfernt liegt“ (ebd., S. 363), bat wiederholt, Katharina möge doch einmal kommen, um die Brüder zu erbauen. Auf sein Drängen hin erhörte sie auf Geheiß des Herrn schließlich seine Bitte und setzte mit einem Gefolge von etwa zwanzig Personen über. Katharina wollte, dass die Brüder ihnen etwas sagen sollten, sprach dann aber auf deren Drängen auch zu den Brüdern, wie der Heilige Geist es ihr eingab. Am Ende erklärte der Prior gegenüber Raimund, ihrem Begleiter, dass sie besser auf die Bedürfnisse eines jeden Bruders eingegangen sei, als es er hätte tun können, obwohl er doch der Beichtvater dieser Brüder war. Raimund bemerkt, dass Katharina auch ihm persönlich immer wieder viele Dinge treffend vorausgesagt, ebenso wie sie auch manchen Verfolgern der Kirche Strafen prophezeit hatte. So war ihr prophetisches und übernatürliches Wissen immer wieder ein Anlass zum Staunen für ihre Zeitgenossen.

(Fortsetzung folgt)

Thomas Ehrenberger

 

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